Limonow in Deutsch

 Horror-Wohnungen

 

 

TAGEBUCHAUFZEICHNUNG JANUAR 1989

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Peter Stephan Jungk und Eduard Limonov – 3. Januar 1989 – © Lillian Birnbaum

 3. Januar, Dienstag: (…) Ich erledige Einkäufe, lese Limonov1, hole ihn dann um ½ 12h von zuhause ab. Wie grausig er wohnt, in der Rue de Turenne! Diese winzigen zwei Zimmerchen! Die Uralt-Schreibmaschine. Die revolutionären Plakate an den Wänden. Eine Zeichnung, comix-artig, von einer Asiatin, Sekunden bevor sie womöglich erschossen werden wird. Sie bettelt um Gnade. AHHH, OHHH!

Wir sprechen ein wenig ad seinen Büchern, seinem Leben. Sein Gesicht halb Baby-Face, halb alter Mann. Er schreibt auch auf Englisch, aber normalerweise Russisch. Sein Nicht-Zusammenseinwollen mit anderen Exilrussen. Der Vater offenbar KGB-Polizist.

Seine Liebe zu einer Roten-Armee-Jacke, so tauchte er ja damals auch in Wien auf2…Sein Plan, vor 5 Jahren, ein Buch über Gaddafi zu schreiben – sein Interesse für den libyschen Revolutionsführer. (…)

Der Weihnachtsbaum in seiner Horror-Wohnung überrascht mich. Sein Wesen viel lockerer, freundlicher, offener als zuletzt. Ein sypathischer, interessanter Zeitgenosse.

Seine Kurzmonologe eigentlich immer meaningful. Kein langweiliger Mensch. Und seine bizarre Biographie.

Führe ihn in die Wohnung, die L.3 und ihr Assistent in ein Studio verwandelt haben – und von 12h – 17h wird Eduard abgelichtet. Zwischen den Aufnahmen unsere Gespräche – sehr gutes Material bereits, z.B. ad 21. August 19684, sein Streit mit dem (verhaßten?) Vater.

Eduard Limonov strotzt von Leben und Kraft, mit seinem nackten, muskulösen Oberkörper. (…) Ich fühle mich vergleichs­weise muskellos, müde, verkühlt, die Schultern lasse ich hängen…

 

4. Januar, Mittwoch: Fortsetzung der Limonov-Arbeit. Vormittags die verbleibenden Fragen zusammengestellt. (…) Um 2h zu ihm nach Hause, interviewe ihn in seiner Wohnung. Seine Freundin der letzten sechs Jahre in der Wohnung, Natalia5, ein schlankes, großgewachsenes Weib, sieht etwas irre bzw. droguée aus, hat Alkohol-Phasen schlimmer Art hinter sich. Starke Persönlichkeit.

 

Mit den beiden um ½ 16h zur L. gefahren, Taxi, der Chauffeur redet auf uns ein, während wir uns über den gemeinsamen Freund A. M. unterhalten. Wie unendlich heftig er lügt. Wall Street Broker? Wohl kaum – er lernte an einer Schule für W.-Str.Broker, das allerdings – kam durch merkwürdige Umstände – durch das Borgen von Geld – an eine größere Summe, beteiligte sich dadurch an einem Hauskauf in New York, aber äußerst unkoschere Geschichte; Limonov erzählt keine Details, sagt nur: unkoscher. (…)

L. photographiert Limonov + Natalia zusammen, gute Idee, denn Natalia war in L.A. 7 Jahre lang Photomodell, wurde 1000-fach photo­graphiert – und plötzlich nicht mehr, plötzlich ist es Eduard, den alle photographieren wollen. Ein gewisser Neid bei ihr nicht zu übersehen.

Nach dem Doppelporträt noch in der Passage photographiert, Limonov allein, in seinen Armeemantel gehüllt – eigenartige Stimmung durch die sehr guten, thematisch völlig passenden Graffiti, die’s hier gibt…

Abends wollten wir mit Limonov noch zum Pigalle, zur Girly-Show, aber er lehnt ab, möchte das nicht – die Idee behagt ihm nicht, und L. gibt schweren Herzens nach.

L. + ich führen die beiden aus, ins »Mandarin«, ein großes, gutes, recht langes Essen – Limonov sehr lieb im Grunde, wenn ich auch mit seinen Ideen + politischen Grundsätzen nicht im Geringsten korrespondiere.

Sprechen über sein Buch »His Butler’s Story«, L. fragt ihn, wer sein Herr in Wirklichkeit gewesen sei. (Im Buch nennt er ihn Steven Gray, glaube ich.) Limonov will zunächst nicht antworten, erzählt, dass sein Herr Besitzer der Firma Aston Martin gewesen sei, läßt später im Gespräch plötzlich den Namen Peter fallen. Ich sage quasi im Scherz: »But not Peter Sprague?!«6 Doch, genau der. Erzähle Limonov also von der Steppenwolf-Zeit, und meine Erinnerungen an P.S., etc.

Natalia scheint böse auf Limonov zu sein, daß er’s uns verraten hat. Natalia schreibt übrigens auch, ihr erstes Buch erscheint demnächst hier in Paris. Und ein Roman über L.A. ist unveröffentlicht.7

Bringen die beiden dann noch nach Hause, nach einem intensiven Tag, kehren in unsere Eisgrube zurück, schlafen den Schlaf der Erschöpften.

                                                                                 Peter Stephan Jungk


  1. Eduard Limonov, russischer Schriftsteller, geboren 1944. Heute ultrarechter Politiker in Moskau, Gründer der Nationalbolschewistischen Partei Russlands. Siehe auch den 2012 erschienenen Roman »Limonov«, von Emmanuel Carrère.  

  2. Gemeint ist eine Konferenz der Exilschriftsteller, 1988, während der ich Limonov kennengelernt hatte. 

  3. Lillian Birnbaum fotografierte Limonov für das Magazin der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, ich schrieb dazu den Text. Unser Artikel erschien am 24. Februar 1989. 

  4. Der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei. 

  5. Natalia Medvedeva, 1958 – 2003, Limonovs spätere Ehefrau. Fotomodell, Sängerin, Schriftstellerin. 

  6. Amerikanischer Businessman und Multimillionär, der 1975 die Firma Aston Martin aufkaufte. Er hatte im Jahr 1973 den Spielfilm »Steppenwolf« zu großen Teilen finanziert, Regie Fred Haines, basierend auf Hermann Hesses Roman, bei dem ich als Produktionsassistent mitarbeitete. 

  7. Der Roman erschien 1992 in Russland unter dem Titel: »Otel ‘Kalifornia'«  




      EDWARD LIMONOW: EIN RUSSE IN PARIS

Interview von Isabelle Graw


Puschkin, Tolstoj, Dostojewski, zu den bekannten Namen russischer Dichtergrößen ist ein neuer hinzugekommen: Edward Limonow. In Frankreich schon ein gefeierter Star, ist er auf dem deutschen Buchmarkt bisher nur mit einer Publikation vertreten, seinem autobiografischen Roman «Fuck off, Amerika».

— Nachdem Sie «Fuck off, Amerika» geschrieben haben, wurden Sie oft mit Henry Miller und mit Charles Bukowski verglichen.

— Ich meine, man kann Schriftsteller nicht miteinander vergleichen.

— Das finde ich auch. Außerdem ist Bukowskis «vulgärer Stil» kalkuliert, er will schockieren. Sie dagegen beschreiben die Dinge so, wie Sie sie empfinden. Ihre «Vulgarität» wirkt weniger aufgesetzt als selbstverständlich.

— Vielleicht werde ich mit 66, so alt ist Bukowski, auch so schreiben. Alles ist möglich!

— Die Sprache Ihrer Bücher ist sehr direkt. Nichts scheint unausgesprochen zu bleiben, jede auch noch so versteckte Nische des Unbewußten wird erforscht. Nirgends eine Spur von Autozensur — ich finde Sie immer so erschreckend ehrlich.

— Erst am Ende eines jeden Buches realisiere ich, daß ich derjenige bin, über den ich da schreibe. Eine gewisse Distanz ist schon vorhanden — sie muß vorhanden sein.

— Könnte «Fuck off, Amerika» auch eine Biographie von Charles Manson sein?


— Sicher. Charles Manson war nicht einfach nur ein Verbrecher. Es steckte mehr dahinter, er war ein sehr komplizierter Mann. Seine Verbrechen waren die Konsequenz einer jahrelangen Versagerexistenz. Ich hätte auch kriminell werden können, aber der Wille zu gewinnen ist stärker. Ich wurde also nicht kriminell, beging keinen Selbstmord und brachte auch sonst niemanden um. 

— Sie waren in Ihrer Jugend Bandenführer in einem Vorort von Charkow, dann wurden Sie «Intellektueller» in Moskau, später wechselten sie zu Tellerwäscher und Dienstbote in New York. Wie kam es zu diesem wechselvollen Leben?

— Ich wuchs in einem Arbeitsvorort bei Charkow auf. Diese Umgebung hat mich natürlich geprägt, obwohl meine Eltern eher kultivierte Leute waren. Mit 15 verließ ich die Schule und mein Elternhaus, um mit meinen Freunden in einer Holzhütte zu leben oder mich mit meinen stets wechselnden Freundinnen zu treffen. Das ging so lange, bis ich meine erste Frau kennenlernte. Sie war älter als ich, sehr schön und vergeistigt und arbeitete in einem Buchladen, dem Treffpunkt der «Charkower Künstlerszene». Ich verliebte mich, mehr in meine Vorstellung von ihr als in die Frau, schrieb Gedichte, las viel und bildete mich. Die Schule war nichts für mich, ich bin ein freier Geist…

— Sie versuchten aber, Versäumtes nachzuholen?

— Nein, ich wollte mitreden können. Dieser Intellektuellenzirkel hatte mich eingeschüchtert, ich wußte nichts zu sagen, trank dafür sehr viel, wie immer wenn ich verlegen bin, ich mußte etwas ändern.

— Wovon lebten Sie damals?

— Ich nähte Kleider, hauptsächlich Hosen, ich kann das übrigens heute noch, aber hier in Paris ist das wohl nicht angebracht. Anna und ich, so hieß meine Frau, beschlossen, gemeinsam nach Moskau zu ziehen. Dort wurde Anna dann sehr krank, geisteskrank. Sie war zwar immer schon etwas merkwürdig gewesen, wobei mir merkwürdig lieber ist als langweilig, aber diesmal war es schlimmer. Sie konnte mir gegenübersitzen, mich anstarren und dann behaupten, ich wolle sie umbringen. Das machte mir Angst. Als sich ihr Zustand nicht besserte, zog sie zu ihrer Mutter und ich verliebte mich in eine andere Frau: Helena. Sie war sehr jung und vor allem sehr schön.

— Mit Helena verließen Sie dann die UdSSR. Und nun stelle ich Ihnen die Frage, die Ihnen bestimmt schon zum Hals heraushängt: wie kam es dazu?

— Ich kannte viele Leute, hatte gute Beziehungen und verkehrte in diplomatischen Kreisen. Eines Tages kamen drei Leute vom KGB zu mir, die mich zur Mitarbeit bewegen sollten. Ich weigerte mich, wies darauf hin, daß unser Familiensoll erfüllt sei, mein Vater war über 28 Jahre Begleiter von Gefangenentransporten gewesen, hatte also für das Innenministerium gearbeitet. Ich wollte jedenfalls nicht für sie spionieren. Da ich illegal in Moskau lebte, eine strafbare Handlung in der Sowjetunion, versprach ich, Moskau binnen 24 Stunden zu verlassen, was ich natürlich nicht tat. Später bot man mir ein Israelvisum an, zu dieser Zeit war der Staat daran interessiert, störende Elemente loszuwerden, und ich nahm die Gelegenheit wahr und reiste aus. Wissen Sie, es ist egal, in welchem politischen System man lebt, es ist immer gut, ein Freund des Diktators zu sein, ich war aber kein Freund des Diktators.

— Sie behaupten immer wieder, man müsse entweder besonders dumm oder kriminell sein, um in der Sowjetunion in ein Lager zu kommen, meinen Sie das eigentlich ernst?

— Jede Gesellschaft hat nun einmal ihre Normen, die ich im Falle der UdSSR natürlich auch nicht mag. Deshalb müßten die Dissidenten, wenn sie wirklich etwas für die Demokratisierung der Sowjetunion tun wollten, diese «realistischen Normen» akzeptieren. Sacharow und Solchenizyn haben sich stattdessen schrittweise in extreme Positionen begeben und sich so zu Feinden des Systems gemacht. Dissidenten beschreiben ihre Vergangenheit immer als etwas besonders Schreckliches. Sie übertreiben maßlos, um im Westen gut aufgenommen zu werden und behaupten, so gelitten zu haben… Es stimmt, daß einige von ihnen im Gefängnis oder im Lager waren, andere, vor allen Dingen die Dissidenten der siebziger Jahre, haben ein Gefängnis noch nie aus der Ferne gesehen!

— Wie fühlten Sie sich, als Sie in den USA ankamen und plötzlich niemand mehr waren, kein Mensch interessierte sich für Ihre Poesie, Ihre Frau verließ Sie … War im Vergleich dazu Ihr Leben in Rußland nicht viel besser gewesen? Sie tranken Krimsekt, waren von schönen Frauen umgeben, ein gefeierter Dichter?

— Natürlich war ich deprimiert. Das ist doch ganz normal. Ich kam schließlich in eine neue Gesellschaft, in der niemand mich kannte: Hinzu kam, daß ich weder Englisch verstand noch ein berühmter Dissident war. Ich mußte also kämpfen, vielleicht mehr als in jeder anderen Gesellschaft. Aber das war nicht so schlimm. Viel schlimmer war die Enttäuschung über Amerika! Ich hatte in Rußland so viel über Amerika gehört und gelesen und mußte nun feststellen, daß alles eine große Lüge war, nichts als Propaganda. Denn die amerikanische Gesellschaft ist in Wirklichkeit alles andere als paradiesisch.

— Warum bleiben Sie dann im Westen, warum gehen Sie nicht nach Rußland zurück? Ihrer Meinung nach ist doch jedes System auf seine Weise freiheitsberaubend, was hält Sie hier noch?


— Ganz einfach, hier werden meine Bücher veröffentlicht. Ansonsten sehe ich keinen großen Unterschied in den Systemen. Wir in Rußland haben eine andere Freiheit, außerdem kennen wir die Tradition der «offenen Rede» nicht. Bei uns werden Entscheidungen intern getroffen und später halten wir die großen Reden. In Amerika dagegen wird alles sofort an die Öffentlichkeit gebracht.

— Sind das Mentalitätsunterschiede?


— Da bin ich absolut sicher. Der Westen ist narzißtisch und will seine Werte und Maßstäbe auf Rußland übertragen. Nur kann man einen Verhaltenskodex nicht exportieren. Von Saudiarabien würde niemand verlangen, sich wie ein westliches Land zu benehmen, und die Sowjetunion liegt zwischen China und dem Iran, das sollte man nicht vergessen. Das Leben im Westen ist zudem so langweilig, warum sollte es auf der ganzen Welt so sein?

— Nach drei Ehen, unzähligen Affären und «one night stands» frage ich mich natürlich, ob Sie, was Beziehungen betrifft, endgültig zum Zyniker geworden sind.

— Eine Frau ist eine Frau! Ich danke Gott für jede neue Erfahrung und bin glücklich, 1976 überlebt zu haben, das Jahr, in dem Helena mich verlassen hat. Es war im nachhinein betrachtet eine schöne Zeit. Ich bin weiser geworden, ich glaube nicht mehr an die «ewige Liebe». Ich glaube nur an mich.

— Eines Ihrer Lieblingsthemen ist die «endgültige Zerstörung der Zivilisation», auf die Sie selber sehnlichst warten, wie Sie sagen. Ist das nicht eine altmodisch-revolutionäre Haltung?


— Diese Gesellschaft, die westliche wie die östliche, fördert die Mittelmäßigkeit. Ich bin für den Helden, den «außergewöhnlichen Menschen», der gegen die Masse kämpfen muß. Dieser Kampf ist nicht gerecht, die Masse ist immer im Vorteil.

— Was soll dieser «außergewöhnliche Mensch» denn Ihrer Meinung nach machen? Soll er Revolutionär werden oder soll er den langen Marsch durch die Institutionen antreten?

— Ich bin weder Politiker noch Philosoph. Ich bin Schriftsteller und mir stehen nur die Mittel der Sprache zur Verfügung. Außerdem wollte ich noch nie eine Lösung finden. Für wen auch?

— Für Sie!

— Ich bin zwar Einzelkämpfer, aber ich habe überhaupt kein Bedürfnis, Märtyrer zu werden. Ich kann nur schreiben. Ich verlange nicht von der Gesellschaft, perfekt zu sein: Die perfekte Gesellschaft wäre ein Desaster!

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